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Stellungnahmen

Prävention und Pflege gemeinsam denken: Warum niedrigschwellige Pflegeleistungen unverzichtbar sind

Stellungnahmen

Prävention und Pflege gemeinsam denken: Warum niedrigschwellige Pflegeleistungen unverzichtbar sind

Stellungnahme des Bundesverbands pflegender Angehöriger wir pflegen e.V.

Derzeit werden verschiedene Forderungen zu Leistungskürzungen in der sozialen Pflegeversicherung laut. Begründet mit dem wachsenden Kostendruck im Pflegesystem werden unter anderem Einschränkungen oder sogar die vollständige Streichung des Pflegegrades 1 sowie eine Karenzzeit vor Leistungsbeginn diskutiert.

wir pflegen e.V. warnt ausdrücklich vor solchen Maßnahmen, die gerade diejenigen Menschen treffen würden, deren Pflegebedarf gerade erst beginnt – also jene, bei denen präventive Vorsorge und Hilfe besonders wirksam wäre.

Der Bundesverband erinnert: Mit der Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs zum 1. Januar 2017 (§ 14 SGB XI) wurde ein Paradigmenwechsel vollzogen: Körperliche, kognitive und psychische Einschränkungen werden seitdem gleichwertig betrachtet. Entscheidend für die Pflegegradeinstufung ist der Grad der Selbstständigkeit in verschiedenen Lebensbereichen. Das Ziel ist klar: Einschränkungen frühzeitig zu erkennen, die Selbstständigkeit möglichst lange zu erhalten und Pflegebedürftigkeit hinauszuzögern. Der Pflegegrad 1 erfüllt damit eine zentrale präventive Funktion im System der Pflegeversorgung.

Menschen mit Pflegegrad 1 haben oft noch keine schwerwiegenden Einschränkungen, aber beginnende gesundheitliche oder altersbedingte Beeinträchtigungen – etwa durch chronische Erkrankungen, Demenz im Frühstadium oder Mobilitätsverluste. Mit dem Entlastungsbetrag in Höhe von 131 Euro monatlich können sie haushaltsnahe Dienstleistungen, Alltagsbegleitung oder Betreuungsangebote in Anspruch nehmen. Das ermöglicht ihnen nicht nur konkrete Unterstützung im Alltag, sondern auch den Aufbau eines Pflegenetzwerks in einer Phase, in der die Versorgung noch nicht kritisch ist. Diese niedrigschwelligen Leistungen wirken präventiv – sie schützen vor Vereinsamung, Überforderung und einem zu schnellen Abrutschen in höhere Pflegegrade.

Ein Fachgutachten des IGES-Instituts im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums unterstreicht diesen Zusammenhang: Frühzeitige Unterstützungszugänge haben das Potenzial, Pflegebedürftigkeit zu verhindern oder zumindest abzumildern. Eine Kürzung dieser Leistungen würde bedeuten, dass viele Betroffene erst dann Hilfe erhalten, wenn ihre Einschränkungen bereits gravierend sind – zu einem Zeitpunkt, an dem eine Rückgewinnung von Selbstständigkeit kaum noch möglich ist. Frühzeitige Hilfen sind wirksamer, humaner, stärken selbstbestimmtes Handeln und sind langfristig auch kostensparender

Die vorgeschlagene Karenzzeit, die von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) ins Spiel gebracht wurde, ist aus Sicht des Bundesverbands kurzsichtig und unverschämt. Eine solche Karenzzeit würde bedeuten, dass pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen im ersten Jahr sämtliche Kosten für Unterstützung, Entlastungsangebote und Pflege selbst tragen müssten – bei gleichzeitig eingeschränkter Erwerbstätigkeit. Schon heute tragen pflegende Angehörige erhebliche finanzielle Lasten, etwa durch Eigenanteile oder den Ausfall von Arbeitszeit. Wenn in der Anfangsphase keinerlei Leistungen gewährt würden, verschärft dies das Risiko, in Armut abzurutschen, erheblich.

Wer jetzt an präventiven Leistungen spart, will ein Loch mit einem anderen stopfen und handelt kurzsichtig und verantwortungslos. Die Abschaffung des Pflegegrades 1 und die Einführung einer Karenzzeit wäre ein sozial- und gesundheitspolitischer Rückschritt. Statt Leistungen zu kürzen, die Selbstständigkeit fördern, Angehörige entlasten und Versorgungslücken überbrücken, braucht es jetzt ein klares Bekenntnis zu einem modernen, präventiv orientierten Pflegesystem. 

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